Willcox & Gibbs Kettenstichmaschine

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emmi
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Registriert: Di 19. Dez 2023, 16:27

Willcox & Gibbs Kettenstichmaschine

Beitrag von emmi »

Heute zeige ich Euch meine Willcox & Gibbs-Kettenstichmaschine. Sie ist die erste antike Nähmaschine, die ich mir kaufte. Ich besaß die Frister & Rossmann Tretmaschine von 1892 mit Ober- und Unterfaden sowie Spulen und Schiffchen für normale Nähte, ein Erbstück, und war erpicht auf Kettenstich. Den wollte ich nutzen und nutze ihn tatsächlich für manche Nähte. Über das Saubermachen und Herrichten will ich nicht mehr reden, es ist "verjährt". Die Nähmaschine hat die Seriennummer A 581377. Es ist eine Wissenschaft für sich, Seriennummern der W & G-Kettenstichmaschinen zu deuten. Ich versuchte es damals, 20 Jahre liegt das schon zurück, und kam zum Ergebnis: Ungefähr 1912. Ob das stimmt? Egal, die Maschine ist in gutem Zustand. Diese Kettenstichmaschinen wurden nahezu 100 Jahre lang produziert: Vom Ende der 1850er Jahre bis in die 1940er Jahre. In moderneren Zeiten verwandelte sich das Schwarz-Gold in technisches Mattgrün.

https://www.ebay.at/itm/375869669643?_s ... BM4K2h6oZl

In Deutschland setzten sich die Maschinen nicht durch. Den Grund sehe ich darin, dass der Kettenstich aufribbeln kann und man deshalb Steppnähte für qualitätvoller hielt. Ich zitiere die Gräfin von Palikow im Roman "Wellen" aus dem Jahr 1911 von Eduard von Keyserling: »Ach, liebe Exzellenz, unsere Frauen, wenn die mal so ganz offen aus Reih und Glied treten, dann finden sie auch keinen Halt mehr. Das ist so wie bei dem Kettenstich auf der Nähmaschine; trennen Sie einen Stich auf, dann geht die ganze Naht los.« Der Geheimrat lächelte: »Das spricht nicht für den Kettenstich.....«. In den USA und in England waren die Maschinen weit verbreitet. Es gab sie als Tret- und Kurbelmaschinen und sehr früh auch schon mit elektrischem Antrieb.

https://www.ebay.at/itm/296787213400?_s ... R-KtoeqGZQ

Nicht von Anfang an, aber schon sehr bald gab es die automatische Fadenspannung. Es ist das "Töpfchen" links neben dem Handrad. Der Faden macht auf seinem Weg von der Garnrolle bis zur Nadel eine quasi ganze Umrundung des Töpfchens. Der Deckel puckert beim Nähen rhythmisch auf und ab, gibt den Faden frei und hält ihn wieder fest. Diese Fadenspannung ist ein großes Geheimnis. Laut Gebrauchsanweisung darf man sie auf keinen Fall ölen und auch niemals öffnen. Ich respektiere das.

Die angehängten Bilder beschreiben meine Maschine. Sie ist eingefädelt. An der Kopfseite läuft der Faden vom oberen Ende der Nadelstange durch eine Abstand haltende Führungsöse bis hinab ins Nadelöhr. Auf der Rückseite ist das noch besser zu sehen. Außerdem sieht man dort zwischen der Führungsöse links von der Nadelstange (von vorn gesehen: rechts) eine weitere Öse, die auf dem Fadenweg nicht benutzt wird. Sie hat Bedeutung nur bei besonderen Stickereien und bewirkt etwas mehr Spannung.

Unter der Stichplatte seht Ihr ein schwarzes Gehäuse und eine Drehscheibe mit Griffstange. Das Gehäuse kann man mit dem kleinen Wulst hinunterklappen. Der Haken wird sichtbar, der sich beim Nähen den Faden holt und wieder nach oben abgibt, während sich auf der Stoffunterseite eine Kettenschlinge bildet. Die interessante "Kette" entsteht also unten. Auf der Oberseite entsteht ein normales Nahtbild. Mir kam das immer sehr entgegen (zum Beispiel beim Säumen von Tischtüchern). Nähen auf der linken Seite mit exakter Orientierung an der Einschlag-Umschlagnahtkante, während auf der Unterseite (der rechten Seite des Tischtuchs!) der schöne Kettenstich gebildet wird.

https://www.youtube.com/watch?v=D1i_4_FgTmQ

Die Drehscheibe mit dem Griff ist der Stichlängenversteller. Es gibt zehn verschiedene Einstellungen (30, 27, 24, 22, 20, 18, 16, 14, 13, 12), wobei auch Zwischenstellungen möglich sind. Sozusagen stufenlos. Die Zahlen beziehen sich auf die Stichanzahl in einem Inch. 30 Stiche in einem Inch ist die kleinste, 12 Stiche in einem Inch die größte Sticheinstellung. Mit diesen Möglichkeiten bin ich nicht glücklich. Ich frage mich, was für Garne man früher hatte! In meiner Maschine steckt eine 100er-Nadel und ich benutze normales (eher kräftiges) Baumwollgarn. Nur die vier größten Sticheinstellungen halte ich für akzeptabel, den Rest für wertlos. Zur Anschauung und als "Beweis" dient die Nähprobe.

Als Zubehör sind ein Säumer und ein Quilter vorhanden. Die schöne Knopfschraube passt für beide Geräte.

Auf bald wieder!
emmi


PS: Soeben hörte und sah ich in einem Video von Alex Askaroff, dass jüngere Maschinen - obwohl mit gleichem Aussehen - größere Stichlängen haben (beginnend anscheinend mit 7 ON AN INCH). Die in den alten Maschinen seien "very very small" gewesen.

https://www.youtube.com/watch?v=y8_6FshsShg

Ob sich mein vermutetes Herstellungsjahr 1912 noch halten lässt? Vielleicht gab es damals je nach Nähaufgabe und Kundengeschmack verschiedene Ausführungen? Schon für die seinerzeit so beliebten Strohhüte (Nadelstärke 120) waren gößere Stichlängen nötig.
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